Die Summer School 2020

Zum RADhaus der Zukunft

Der »ex_kurs 2020« eröffnete ein einzigartig reales Spannungsfeld zwischen drängenden Fragestellungen im Bereich zukünftiger urbaner Mobilität. Vom
17. bis 30. August 2020 drehte sich alles rund ums Rad. Die Wilhelmsburger Zinnwerke wurden während der Summer School zum Reallabor für urbane Fahrradabstellmöglichkeiten. Studierende und Lehrende der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW), Technischen Universität Hamburg (TUHH), HafenCity Universität (HCU), des Natural Building Labs (NBL) der Technischen Universität Berlin sowie lokale Expert*innen widmeten sich der Entwicklung eines wegweisenden Radhauses für die Stadt Hamburg in Zusammenarbeit mit der Behörde für Stadtentwicklung und Wohnen (BSW).
Durch gemeinschaftliches Gestalten, Bauen, Forschen, Installieren und Inszenieren nahmen die Teilnehmenden das Abstellen von Fahrrädern und
das Radfahren in den Blick. Die erdachten, modularen Fahrradpark-­Systeme generieren sichere Orte für Räder und darüber hinaus einen Nutzen für die Bewohner*innen der Stadt. Ein Fahrradhaus, das nicht nur einen Pkw-Stellplatz ersetzt und nachhaltig produziert wird, sondern zudem möglichst flexibel durch unterschiedlichen Menschen genutzt werden und den Stadtraum bereichern kann. Zur Summer School gehörte ein umfangreiches Rahmenprogramm mit verschiedenen Input-Sessions und Workshops.

Die digitale Woche

Für die erste Entwurfsphase und Woche
wurde eine entsprechende fahrrad-denk-freundliche
Infrastruktur geschaffen – analog wie digital.

Zur realen Grundversorgung bekamen alle Teilnehmer*innen köstliche
Starter-Kits mit Kaffee, Radler, Radpasta und kleinen Überraschungen mit
dem Lastenrad nach Hause geliefert. Anjes Tjarks eröffnete unterdessen die Summer School mit einer kurzen Einführung zu den aktuellen Vorhaben der Behörde für Verkehr und Mobilitätswende und machte klar, welchen großen Beitrag sichere Fahrradabstellanlagen aus seiner Sicht zur Mobiliät der Zukunft leisten. Anschließend wurden alle mit den unterschiedlichen online Kanälen
und Programmpunkten sowie einander bekannt gemacht. Einen fulminanten
Auftakt-Abschlussabend stellte die außergewöhnliche Lecture Performance
rund ums Fahrrad und Radfahren dar. Der Künstler, Designer und Architekt
Ton Matton gab kopföffnende Anregungen und kochte anschließend mit Marco Antonio Reyes Loredo live in der »ex_küche«. Die Teilnehmer*innen kochten parallel ihr Essen Zuhause.

Eine fundierte Wegbereitung und -begleitung von der Idee zum Prototypen erfolgte in allen Gruppen, die vorab möglichst interdisziplinär von den Organisator*innen zusammengestellt wurden. Die folgenden Tage der digitalen Woche waren gefüllt mit spannenden Beiträgen von Radexpert*innen, mit denen die Studierenden gemeinsam über Zoom-Meetings an den Ideen und Entwürfen für das Fahrradhaus der Zukunft tüftelten. Die Gruppen erhielten zudem tägliche Circle Coachings durch die Lehrenden der verschiedenen Hochschulen, um ihre Projekte weiterzuentwickeln. Sie wurden in
verschiedene Techniken (z.B. 3D-Druck) eingeführt und sammelten neue Erfahrungen in ihrer interdisziplinären Zusammenarbeit. Das Projekt schaffte einen Raum für Austausch von Wissen mit Expert*innen und ein Forum
für Experimente. Die digitale Woche endete mit einer Zwischenpräsentation.
Die fünf interdisziplinären Teams stellten ihre Entwürfe und Ansätze mit
einem gemeinsamen Ziel vor: Gemeinschaftlich – von allen Teilnehmer*innen
und einer externen Jury – wurden die besten Ideen herauszukristallisiert,
um sie in der zweiten Woche baulich zu befragen und umzusetzen.

Die analoge Woche

In der zweiten Woche entstanden nicht nur 1 zu 1
Realisierungen für 2 RADhaus-Typen sondern
auch eine agitierende Kommunikationsstrategie
gegen Radlosigkeit in urbanen Räumen.

Nach einer analog-digitalen Baubesprechung ging es in den Zinnwerken an
die Umsetzung der Prototypen. In neu zusammengestellten wie gewählten interdisziplinären Teams wurden die zwei ausgewählten Ideen weiter bearbeitet. Da auch die Realisierung der Prototypen mit einem Fokus auf nachhaltige Materialien stattfinden sollte, erfolgte die Materialbeschaffung zum Großteil über Urban Mining. Die Kooperation mit dem Abrissunternehmen Wilko Wagner ermöglichte es einer Kleingruppe entsprechende Materialien
von einer Großbaustelle zu ernten. Anschließend konnten die Teilnehmenden
in die Umsetzung ihrer Ideen übergehen und alte Scheunentore und ein Hochregallager upcyclen. Die von der Geometrie des Fahrradrahmens inspirierte »Dreiecksbox« wir so ausgearbeitet, dass sie sich flexibel beplanken
und in Orte einfügen lässt. Auch der modulare »Radpark« lässt eine Beplankung
als Altmaterial zu, allerdings großflächiger.

Um die Bekanntheit der Radboxen zu steigern und über die Radabstellmög-
lichkeiten hinaus auf alternative Mobilitätsformen in der Stadt aufmerksam zu machen, entwickelten die Teilnehmer*innen eine Kommunikationsstrategie:
das ORTnungsamt »gegen RADlosigkeit in Urbanen Räumen«. Das »Ortnungs-
amt« kümmert sich also um die gehörige Portion Fahrradliebe bei der Summer School und darüber hinaus. Eine Institution in Pink mit echten Aktivist*innen, die mehr als stramme Waden eint – das Engagement für mehr Räder und schönere urbane Räume. Einem gut durchdachten Manifest, folgte ein Corporate Design und eine Verbreitungsstrategie. Sie entwickelten und nähten Sicherheitswesten sowie Fahrradplaketten und planten verschiedene Aktionen im Stadtraum. Bei der Critical Mass Hamburg machten alle ex_kursler*innen gemeinsam auf das Projekt aufmerksam.

ex_kurs Das RADhaus der Zukunft 2020 Facebook Instagram

Entwürfe

Zwischenpräsentation

01 CORRAL

Mobilitätswendenbeschleuniger

Ein Entwurf der eine schnelle Umnutzung und Aneignung von Stell-
flächen im öffentlichen Raum ermöglicht: Ein einfacher PKW-Anhänger
schafft Raum für 9 Fahrrad-Stellplätze.

Außenkommunikation
Die Seitenflächen der umgenutzten Anhänger dienen als Grundfläche
für eine aufmerksamkeitsstarke Kommunikation rund, um das Thema
Radfahren und radreiche Raumnutzung. So werden nicht nur die Auto-
fahrer auf die Rückeroberungsstrategie von Stadtraum aufmerksam,
sonder auch Passant*innen.

An die weiterführende Projektinformationen sowie eine EInladung zur Nachahmung, ist ebenfalls bei der Rampe des Abstellwagens angedacht:
»Wir erobern uns den öffentlichen Raum zurück und geben 9 Rädern
auf einem einzigen PKW Stellplatz ein neues Zuhause. Wenn du wissen
willst warum wir das machen und was du selbst tun kannst, geh auf Platzhaltername.de
oder nutze den QR Code.«

Beispielhafte Headline-Ideen für die Beschriftung der Seitenflächen:
Wir suchen neue Anhänger! Der Rad-Kult wächst unaufhaltsam.
| Wer zuerst kommt, parkt zuerst. | Ganz einfach: 1 Auto = 9 Räder.
| Automatisch die Stadt gerettet. | Hier wohnen jetzt 9 Räder. Sry.
| Sorry, hier stehen schon 9 Räder. | Komm auf die gute Seite der Macht.

Wir haben Parkplätze. | Morgen vielleicht schon vor deinem Haus.
| Mathemathik erste Klasse – was ist mehr? 9 Räder oder 4? | Gewöhn dich
an meinen Anblick. | Wir sehen uns wenn du gleich wieder hier vorbei fährst.

02 RADpark

Dockt euch an!

Der modulare »Radpark« erweitert selbstbewusst den öffentlichen Raum in
die Vertikale und schafft auf dem Dach gemeinwohlorientierte Angebote.

Das Konzept
Der modulare Radpark besteht aus einem einfachen Baukastensystem.
Er erweitert selbstbewusst den öffentlichen Raum in die Vertikale und
schafft auf dem Dach gemeinwohlorien­tierte Angebote.

Fahrrad Abstellen
Die Basis der Abstellanlage bilden zwei unterschiedlich große Einheiten – eine für reguläre Räder und eine für Lastenräder. Dem Bau­kasten folgend können verschiedenste Zusatzangebote hinzugefügt werden. So kann jeder Radpark nicht nur die Sicherheit der abgestellten Fahrräder garantieren, sondern auch auf die lokalen, individuellen Bedürfnisse der verschiedenen Standorte reagieren.

Dach Gestalten!
Die begehbare Dachfläche des Radparks schafft charmante, öffentliche
Flächen im Stadtraum: Von Urban Gardening, über Spielplatz,
Wohnzimmer, Werkstatt und Parkturm ist alles denk-, plan- und baubar.

03 RADHAUS

Die Hülle zum Rad.

Die Hülle zum Rad. Eine Einladung zur Gestaltung und
Nutzung öffentlichen Raums über ein modulares Stecksystem.

Gestaltung
_ Prozesshaftigkeit
_ Modularität | Variabilität
_ durchlässig | offen | wenig körperhaft
_ Gerüst = Hülle/System + Elemente darin
_ Kommunikation integriert sich in die Architektur

04 Dreiecksbox

Parken drunter und drüber!

Die Dreiecksbox lädt zum Fahrradparken drunter und drüber ein.
Ein von der Geometrie des Fahrradrahmens inspiriertes Objekt,
das sich flexibel beplanken und in Orte einfügen lässt. Die Box
kommuniziert als symbolisches Stadtmöbel für die Verkehrswende.

Effiziente Ausnutzung
_ Doppelstöckiges Parken für hohe Auslastung pro m2,
leichter Einstieg über schräge Ebene
_ Optimale Ausnutzung des Raumes in der Box,
abgeleitet von der Fahrradgeometrie

Visuelle Qualität im Stadtraum
_ Reduzierung der Sichthöhe auf größtenteils weniger als 1,4 m
_ flexible, ortsspezifische und kleinteilige
Beplankungen aus Upcycling-Material möglich

Sicherheit für alle
_ Innenraum der Box als Dauerparkplatz, zum
Abstellen von allen Fahrradtypen geeignet
_ Dach der Box als Kurzzeit­parkplatz, der über
eine Auslegerschiene benutzt wird
_ Installation einer Beleuchtung im Innenraum
an besonderen öffentlichen Räumen

Vielfältige Einsatzmöglichkeiten
_ Kleiner modularer Aufbau ermöglicht
verschiedene Konfigurationen im Stadtraum

05 rad_HAUS

Ein Haus für alle!

Eine aufmerksamkeitsstarke Abstellmöglichkeit in Holzrahmenbau-
weise, die Raum für Räder und alle anderen, nicht-motorisierten
Gefährte aufspannt. Das Häuschen bietet zudem Platz um Gemein-
schaftsflächen zu gestalten und zu erweitern.

Räumliches Konzept
_ ein vervielfachbares Element mit geschlossenem Raum +
öffentlichem Raum offen für jegliche Nutzungen
_ Durchwegung als Bereicherung der Radinfrastruktur

Gestalt
_ durch Dachform und Eckvariationen die kompakte Form
auflösen wird eine Wiedererkennung und Identifizierung ermöglicht
_ optionale »Ecken« ab Radhaus ermöglichen flexible
Nutzungen, die sich den lokalen Bedürfnissen anpassen
_ Mehrwert für alle, den Kiez und die Stadt
_ kostenlose Zugänglichkeit für alle

Fortbewegungsmittel
_ Dimensionen von Fahrzeugetypen aller
Art und potenzieller zukünftige Fahrzeuge
_ spontane räumliche Änderung des Stellplatzes möglich

Das Ortnungsamt

Aktivismus für mehr Fahrradparken in der Stadt

Um die Bekanntheit der Radboxen zu steigern und über die Radabstellmöglichkeiten hinaus auf alternative Mobilitätsformen in der Stadt aufmerksam zu machen, entwickelten die Teilnehmer*innen eine Kommunikationsstrategie: das ORTnungsamt »gegen RADlosigkeit in Urbanen Räumen«. Das »Ortnungsamt« kümmert sich also um die gehörige Portion Fahrradliebe bei der Summer School und darüber hinaus. Eine Institution in Pink mit echten Aktivist*innen, die mehr als stramme Waden eint – das Engagement für mehr Räder und schönere urbane Räume. Einem gut durchdachten Manifest, folgte ein Corporate Design und eine Verbreitungsstrategie. Sie entwickelten und nähten Sicherheitswesten sowie Fahrradplaketten und planten verschiedene Aktionen im Stadtraum. Bei der Critical Mass Hamburg machten alle ex_kursler*innen gemeinsam auf das Projekt aufmerksam.

01 Spread Fahrradliebe
Zum Radfahren braucht es mehr als stramme Waden, nämlich einen nichtmotorisierten fahrbaren Untersatz, wache Köpfe und ein gegenseitiges Rücksichtnehmen. Radfahren ist Respekt, positive Energie, Umweltbewusstsein, inklusiv und ‘ne mords Gaudi. Spread the fahrrad love!
02 Safety first
Lieber sicher als blöd! Es braucht mehr Sicherheit in allen Maßstäben. Das fängt beim eigenen Helm an und endet bei drei gleichberechtigten Spuren für Autos, Fahrräder und Fußgänger*innen. und zwar eigentlich schon seit gestern und auf allen Ebenen.
03 Platz für alle
Damit du nicht radlos im Regen stehst, braucht es sichere fahrradabstellplätze für alle und jeden Fahrradtyp. Es braucht: Parkhäuser für 1000 schicke Räder, kleine Boxen, die dein Fahrrad sicher verwahren und unflexbare Fahrradbügel.
04 Make it sexy
Be the sexiness you want to see in the world. Stadtplätze können nicht mehr einfach nur monofunktionale Betonoberflächen sein. Fahrradhäuser denken die Nutzer*innen mit und schaffen grüne, nachbarschaftliche Oasen direkt vor deiner Tür.
05 All inclusive
Gemeinsam statt einsam. Ob Fahrradliebhaber oder mit altem Drahtesel, mit Laufrad oder Rollstuhl, hier ist für jeden was dabei! Structure is success, deswegen braucht es eine seriöse Institution in pink, die die Standorte des neuen Fahrradnetzwerkes steuert.
06 Mobilität von morgen.
Weil gestern, gestern ist und die Gewinner*innen heute schon über morgen nachdenken, denken wir nicht nur bestehende Konzepte um, sondern schreiben sie neu. Das Ortnungsamt vergibt dafür jährliche Fonds, die das Tor der Energiewende öffnen und dauerhaft offen halten.


Wie geht es weiter?

next_kurs

Nach dem Ende des »ex_kurs 2020« hat sich ein kleines Team aus Teilnehmenden und Organisator*innen
gefunden, um die Ergebnisse der Summer School darüber hinaus zu verbreiten und zugänglich zu machen.
Um die RADhäuser der Zukunft auch außerhalb Hamburgs sichtbar werden zu lassen, wurden die Prototypen
für die »europäische Mobilitätswoche« in Norderstedt weiterentwickelt. Bei der von der Europäischen
Kommission initiierten Kampagne, konnten sich die Bürger*innen Norderstedts über nachhaltige Mobilität durch
Fahrradparken auf umgenutzten PKW-Stellflächen vor Ort informieren. Auch beim Parking Day 2020
des ADFC in der Langen Reihe wurden die Ergebnisse der Summer School sichtbar.


ex_kurs in A5

Dokumentation