Installative Spuren im Stadtteil

Ein energiegeladener Sommer mit einem Rahmenprogramm, das so divers ist wie seine Teilnehmenden und Projekte:

Während der zwei ex_kurs_Wochen gab es neben dem täglichen Bauen und Arbeiten verschiedene interne und öffentliche Veranstaltungen. Die Teilnehmenden durften Vorlesungen, Screenings sowie konzeptionelles Essen und Abendveranstaltungen genießen, große und kleine Workshops besuchen oder in einem Expert*innen-Forum ihre Projekte mit erfahrenen Kurator*innen reflektieren lassen. Zu »Kanal und Liebe« luden die Teilnehmenden am letzten Samstag ein, um das ex_kurs_ende mit diversen Projektführungen, einem großen Stadtteildinner und einer Abschlussparty gebührend zu feiern.

vor_kurs

Das Sommersemester diente als vor_kurs zum ex_kurs_sommer.

Im Vorfeld des ex_kurs_sommers richteten die kooperierenden Professuren im Sommersemester 2019 eigene Kursformate als methodische Experimentierfelder für den Wissens- und Praxistransfer ein. An der HAW bereiteten die Kurse »Beziehungsweisen« (Designkurs) und »Hallimasch und Zitterpappeln« (Theoriekurs) Studierende auf die Sommerresidenz vor. Die HCU bot ein interdisziplinäre Projekt im Bereich »Architektur und Experimentelles Entwerfen« an, während die MSH die Vorbereitungen durch das Modul »Community Building« ergänzte.

Es was das vorbereitende Experimentierfeld, das eine Probefläche für bereits kooperierende Kursformate und Professuren bot. Der Vorkurs regte außerdem eine spielerische Auseinandersetzung mit den derzeitigen Lernstrukturen im Bildungsbereich an und ist ein Versuch diese im Hinblick auf den kommenden ex_kurs_sommer kollektiv mit dem Stadtteil zu definieren und zu lokalisieren. Aufgabe für die Studierenden war es sowohl relevante Problemstellungen in Wilhelmsburg für die 1:1 Projekte in der ex_kurs Sommerresidenz herauszufiltern und zu bearbeiten. Als auch die Konzeption und Gestaltung eines Arbeits-, Austausch- und Machorts in den Zinnwerken für die Teilnehmenden des ex_kurs_sommers.

Am ehemaligen Veringkanal in Hamburg–Wilhelmsburg – dem ärmsten, internationalsten und jüngsten Stadtteil Hamburgs – ist in den letzten Jahren ein vielfältiges Kultur– und Kreativwirtschaftsquartier gewachsen: Das Soziokulturzentrum Honigfabrik, das selbstverwaltete Atelierhaus 23, der Musikclub Turtur, das Archipel (offene Plattform für Selbstorganisation) und die Minibar/Inselpension, die freie Schule für Gestaltung, die legendäre Soulkitchenhalle, der Interkulturelle Garten oder das international bekannte Dockville Festival sowie die Zinnwerke sind hier verortet. Am Kanal liegen außerdem die Nordischen Ölwerke (ein starke Emissionen produzierender Industriebetrieb), eine Spedition mit enormem Schwerlastverkehr, eine Autowerkstatt und das Krankenhaus Groß-Sand. Diese brisante Kombination birgt nicht nur Probleme, sondern auch große Chancen, die es modellhaft im Bezug auf Fragen von Integration und dem Miteinander von Industrie, Kreativwirtschaft, Natur und Wohnen zu entwickeln gilt.

ex_küche

Die Verpflegungsstation mit Herz und Verstand

Als sozial-kulinarische Koch-, Bildungs- und Vernetzungsstelle war die ex_küche weit mehr als ein herkömmliches Versorgungsprogramm. Sie war Raum und gab Rahmen für soziale Projekte, gemeinsame Aktionen und den stetigen Austausch, der Menschen verschiedener Kulturen beim gemeinsamen Kochen und Essen in Hamburg Wilhelmsburg zusammenbrachte.

Neben einer nachhaltig köstlichen Frühstücksverpflegung gab es täglich ein konzeptionelles Abendessen, das während des ex_kurs_sommers nicht nur die Sommerresident*innen, sondern auch alle hungrigen Besucher*innen verköstigte. Der Herzblut-Essensretter und Wilhelmsburger Jan Martin Ahlers nutzte die zwei ex_kurs_Wochen als Sonderurlaub, um über »foodsharing.org« Lebensmittelüberschüsse gemeinsam mit Marco Antonio Reyes Loredo (Hirn und Wanst) visionär in die Versorgungsstruktur zu integrieren und somit auf verschiedene Weise Bildungsarbeit bezüglich Lebensmittelverschwendung zu leisten. Um die Zutaten und den Spaß an kollektiver Nahrungszubereitung für alle zugänglich zu machen wurde kurzerhand eine Open-Air Koch- und Spülstation gebaut. Unter freiem Himmel konnten Menschen beim gemeinsamen Kochen und Essen zusammenkommen. Täglich variierende Kochteams konnten gemeinsam perfekt essbare Lebensmittel – die sonst nicht auf Teller kommen würden – zu köstlichem Essen verarbeiten. Das vor Ort angebotene Essen konnte den Gästen auf einer Pay As You Feel-Basis zur Verfügung gestellt werden.

book and breakfast

Alle ex_kursler*innen konnten während des gemeinsamen Sommers ein rundum sorglos Paket genießen.

Das Bücherwerk der Rathauspassage Hamburg wurde durch Antipas Papageorgiou (HCU-Studierender), Joana Welteke (MSH-Studierende) sowie Annette Schmid, Beate Kapfenberger, Marco Antonio Reyes Loredo und Martha Starke (Zinnwerke e.V.) kurzerhand zum »book and breakfast« umgebaut und bot den Teilnehmenden Schlafmöglichkeiten vor Ort.

Auch während der Sommerresidenz wurde der materielle Wert aussortierter Literatur durch Experimente mit Büchern befragt. Ein Bücherbett schafft durch einfache Falttechniken eine bequeme und flexible Übernachtungsgrundlage. Diese »Bücher-Kern-Matratze« wurde von Prof. Dr. Matthias Ballestrem (HCU), Beate Kapfenberger und Martha Starke (morgen.) erdacht und von vielen ex_kursler*innen gemeinschaftlich produziert.

ex_kurs Das RADhaus der Zukunft 2020 Facebook Instagram

Die Projekte

KOM:SITZ

Raum nehmen, Platz besetzen, aufhalten, lesen, treffen, öffentlich

Das mobile Lesekissen KOM:sitz ist eine urbane Intervention, die öffentliche Räume in der Stadt zurückerobert und Menschen einlädt zusammenzukommen und sich vorzulesen. 2,5 Meter mal 6 Meter entspricht nicht nur durchschnittlich der Größe eines Parkplatzes, sondern auch der des Aktions-Kissens. Das sind 15 Quadratmeter Raum, die rund 12 Menschen Platz bieten – anstelle eines stehenden Autos. Das Kissen aus recycelten Materialien bietet in integrierten Taschen bis zu 30 Büchern Platz. Es macht auf die für Autos vorbehaltenen Flächen im öffentlichen Raum aufmerksam und eröffnet neue Nutzungsperspektiven. Das Projekt von Jana Beckmann und Janna Nikoleit (Teilnehmerinnen) ist in Kooperation mit Beate Kapfenberger und Martha Starke (Organisations-Team) sowie vielen weiteren ex_kursler*innen entstanden. Während des ex_kurs_sommer parkte KOM:SITZ passend zum Programm des Internationalen Bauforums bei den Deichtorhallen, auf städtischen Parkplätzen und bei Supermärkten. Darüber hinaus war KOM:SITZ mit Green Events Teil des Reeperbahn Festivals und parkte rund um die Reeperbahn in Hamburg ein.

Bread for the people

What do we talk about when we talk about bread?

Brot ist mehr als Brot – Anna Celda (HAW, Erasmus-Studierende) untersuchte das Brot als soziales Objekt.

Brot ist eines der interessantesten Lebensmittel der Welt. Es besticht durch die Einfachheit seiner Zutaten: Weizen und Wasser. Seine Schlichtheit gibt ihm eine Art überlieferte Bedeutung. Brot ist ein Nahrungsmittel, das mit Ritualen und Traditionen in jeder Kultur auf der ganzen Welt verbunden ist. Dass durch die Erforschung und das Backen von Brot Gemeinschaft gestiftet werden kann, davon sind auch Tomma Groth, Kira Seyboth, Andreas Meichner und Mathias Ellmer überzeugt (HCU-Studierende). Bereits während des vor_kurses haben sie deshalb einen Ofen als Versammlungsort und Back-Epizentrum auf dem Gelände der Zinnwerke entwickelt und gebaut.

Neben einem dreitägigen Workshop für Brot-Interessierte, Backworkshops mit der Stadtteilschule und einem Backtag mit Auszubildenden der BI Beruf und Integration Elbinsel, gab es thematisch verwandte Vorträge, u.a. von Carlotta Werner zu »Öfen der Kulturen« sowie Bastian Austermann zu einer alternativen Kühlmethode mit Ton-Kühlern.

Hallo:Radio

Der Stadtteil wird zum Klangteppich auf dem Kanal

Was zeichnet einen Stadtteil und seine Bewohner*innen aus und welche klanglichen Assoziationen weckt ein Ort wie Wilhelmsburg, der sich durch eine ebenso vielfältige Bevölkerung wie Natur- und Industrielandschaft auszeichnet? Georg von Rüdiger, Lorenzo Toma und Jakob Veselov, Studierende an der HAW und Bewohner des Stadtteils, begaben sich auf eine klangliche Erkundungstour auf der Elbinsel, sammelten Fieldrecordings aus industriellen Betrieben und Naturschutzgebieten, Verkehrsgeräusche und Stimmen aus der Nachbarschaft. In darauffolgenden Workshops und einer Installation auf dem Stübenplatz wurde die Auseinandersetzung mit der urbanen Klangkulisse weiter vertieft. Die Ergebnisse dieses Erkundens flossen in ein viertägiges Radioprogramm ein, welches vom Archipel auf dem Kulturkanal aus gesendet wurde. Dazu wurden DJs und Live-Musiker*innen aus Wilhelmsburg und ganz Hamburg eingeladen, sich auf ihre Weise mit den Klängen einer Großstadt auseinander zu setzen und gleichzeitig mit ihrer Musik Teil der städtischen Klanglandschaft zu werden. Das HALLO: Radio war für Passant*innen auf dem Veringkanal hörbar und wurde über Radios, die auf dem Gelände der Zinnwerke platziert wurden, und über einen Internet-Livestream ausgestrahlt. _____zum Nachhören: https://soundcloud.com/hallo-radio

WILH_explore

Der Raum von Vergangenheit bis Zukunft

Wilhelmsburg ist mit 35,3km² der flächenmäßig größte Stadtteil in Hamburg mit einer Vielfalt an verschiedenen Wohnformen. Die Wohnverhältnisse zu verschiedenen Epochen, Wohnfläche pro Kopf, Anzahl der Bewohner*innen, Migrationsanteil oder die Kosten pro Quadratmeter skizzieren ein Bild über das Leben auf den Elbinseln. Maedeh Amiripour, Anne Bruns und Antipas Papageorgiou (HCU-Studierende) repräsentierten an sechs Orten die Wohnungen verschiedener Bauten eins zu eins in Wilhelmsburg. In den betretbaren gezeichneten Grundrissen konnten die Besucher*innen die unterschiedlichen Wohnformen erleben. Ein digitaler Guide und geführte Spaziergänge vermitteln zusätzliche Inhalte und machen weitere Informationen zugänglich.

Bei einem konzeptionellen Abendessen dürfen alle ex_kursler*innen sowie Besucher*innen im Grundriss auf dem Hof der Zinnwerke Platz nehmen.

_____Webseite zum Projekt: https://wilhexplore.weebly.com/